Sonntag, 6. Januar 2013

will never be good enough.


Ich sitze mit meiner Mutter, einer Flasche Weißwein und meinem Babyalbum in der Küche. Es ist schon spät am Abend und eigentlich sind wir beide viel zu müde. Doch trotzdem durchblättern wir das vergilbte graue Album, welches außen mit einem Sticker und einer dicken “95" beklebt ist. Die Bilder wirken fremd, kaum vorstellbar, dass das, wirklich ich sein soll.
“Das ist im Kinderkrankenhaus, 3 Tage nach deiner Geburt, du hattest einen Herzstillstand über Nacht.” Auf dem Bild hält mein Vater ein kleines weißes Bündel im Arm, sein Blick ist liebevoll, als wöllte er das Baby was er da hält, nie mehr hergeben. Als hätte er Angst, ein weiterer Herzstillstand würde folgen. Als würde er dieses kleine, 3 Tage alte Wesen wirklich lieben. Dieses 50cm kleine Lebewesen, mit den schwarzen Haaren und der roten Nasenspitze, die als einziges zu sehen ist, bin ich.

5 Stunden vorher.
Mein Vater und ich stehen im Pferdestall. Wir streiten, wie so oft. “Du beschwerst dich, ich würde nie alles richtig machen und alles nur zur Hälfte, doch selber vergisst du die Futtertröge voll zu machen, hör auf dich ständig zu beschweren!”
“Hör du auf, dich mit mir zu vergleichen! Du bist ein Scheißdreck, du wirst im Leben nichts erreichen, also denke nicht, dass du mit mir auf einer Höhe bist!”

3 Stunden zuvor.
“Du isst lieber das Zeug mit den ganzen Konservierungsstoffen, als den guten selbstgemachten Schinken! Du bist dumm, richtig dumm!” “Ich mag nun mal kein Schinken.” “Du hast keine Ahnung, von überhaupt nichts!” “Iss du das, was dir schmeckt und ich esse das, was mir schmeckt! Basta!”

“Geh nicht mit der Gabel, von der du isst ins Olivenglas!” “Ich habe von der Gabel nicht gegessen. Ich habe die Oliven lediglich auf meinen Teller damit gelegt.” Ich verteile Opa’s selbst gemachten Hüttenkäse auf meiner Brotscheibe, nehme sie in die Hand und beiße ab.
“Isst du in Bayern auch so?! Dir fällt so alles unter den Tisch! Man schneidet das Brot mit Messer und Gabel und steckt es sich dann in den Mund!” “Lass sie doch jetzt essen, wie sie will.” Meine Schwester ist genervt.
“Du brauchst nicht jede meiner Bewegungen zu kommentieren. Ich komm schon gut alleine klar. Schau du auf dich und ich schau auf mich!”

“In der Stadt übernehmen sie keine Lehrlinge, grundsätzlich nicht. Sie haben genug Leute und ich möchte eh erstmal noch ein bisschen rum kommen, nach der Ausbildung.”
“Das nenne ich mal ne Ausrede. Aber klar, dass die solche, wie dich nicht übernehmen. Die brauchen schließlich gute Leute.”


Einen Tag zuvor.
Mal wieder drehte sich alles um die Gaststätte. Dass ich seit ein paar Wochen mal wieder Zuhause war, fiel niemanden auf. Keiner fragte, wie es mir ging, wie denn die Zugfahrt war. “Wann gibt es denn Abendbrot?” Keiner antwortete. Mein Vater schnitt Steaks zurecht, meine Mutter pendelte zwischen Theke und Küche, meine Oma bereitete den Feiertagsbraten zu.
Da ich hier eh nicht willkommen war, aß ich alleine eine Kleinigkeit und wollte dann in unser Haus gehen. Ich war müde und die Fahrt anstrengend.
Im Hausflur, genau neben der Tür fiel mir eine Veränderung auf. Seit wann hing da ein Bild?
Ich kam näher und betrachtete es. Es zeigte einer Gruppe junger Köche und Köchinnen. Es war das Bild des Berufswettbewerbes, an dem meine Schwester vor ein paar Jahren teilgenommen hatte. Sie stand ganz vorn in der Mitte - sie hatte an diesem Tag den ersten Platz gemacht und war somit beste Jungköchin Deutschlands. Die “Werbung” sollte wohl kommende Gäste beeindrucken.
Doch in dem Moment wurde es mir klar - von mir würde niemals ein Bild hier hängen. Nie.
Es gab niemanden der sich für meine Leistungen interessieren würde. Wie würde es auch aussehen, ein Bild einer Gärtnerin in einem Restaurant?
Nie in meinem Leben wird mein Vater ein solches Bild von mir entwickeln lassen und voller Stolz an die Wand nageln. Nie.
Es machte mich traurig. Zu wissen, dass ich kämpfe und es niemands genug sein wird.
Auch ich werde im Februar an einem Junggärtnerwettkampf teilnehmen. Doch schon jetzt weiß ich, dass egal welchen Platz ich belege, es nicht gut genug sein wird für meinen Vater. Nie wird es auch nur ein einziges Foto von mir, in diesem Haus geben. Nie.

2 Kommentare:

  1. Ich kenne das Gefühl. Da hilft nur eins: Kopf hoch und der ganzen Welt zeigen, was man drauf hat. Mach was aus deinem Leben, damit DU stolz drauf sein kannst!

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